Mittwoch, den 17. Dezember 2014 11:47 Alter: 5 Jahr(e)

27. Dezember, MDR: In Radeburg unterwegs zu Urberliners Wurzeln

Kategorie: Radeburg und Umgebung

VON: KLAUS KROEMKE

Karnevalspräsident Olaf Häßlich erzählt gelegentlich die Geschichte, wie ihm in einer Potsdamer Kneipe mal Dresche angeboten wurde, weil er nicht aufhörte zu behaupten, Heinrich Zille sei im sächsischen Radeburg geboren. Selbst Günther Jauch meint, der Pinselheinrich sei ein Urberliner. Na wenn der das sagt... In dieser Sendung wird Moderatorin Beate Werner für Aufklärung sorgen – und dabei feststellen, dass das mit dem Geburtsort doch nicht ganz so klar ist. Am 27. Dezember 18:15 Uhr im MDR Fernsehen: In Radeburg unterwegs zu Urberliners Wurzeln

Könnte Zilles Enkelin sein: Moderatorin Beate Werner.
Könnte Zilles Enkelin sein: Moderatorin Beate Werner.

Maskenbildnerin  Katharina Börner macht den Drehburgel noch fotogener als er so schon ist.
Maskenbildnerin Katharina Börner macht den Drehburgel noch fotogener als er so schon ist.

So jung wie die Frau aussieht, kann sie noch gar nicht so lange beim Fernsehen sein, wie sie anscheinend ist: Beate Werner. Sie moderierte schon die Vorgängersendung vom „Sachsenspiegel“ und war auch beim „Sachsenspiegel“ selbst „das bekannteste und prägendste Gesicht dieser Sendung,“ wie auf Wikipedia nachzulesen ist. Auch im 3sat-Ländermagazin vertrat die geborene Dresdnerin, die jetzt in Radebeul wohnt, den Freistaat würdig.

Aber so richtig verwirklichen konnte sich die studierte Sprach- und Literaturwissenschaftlerin mit dem MDR-Magazin „Unterwegs in Sachsen“. Einschließlich Radeburg hat sie 228 Sendungen moderiert, die erste im Januar 2001, und es gibt in Sachsen kaum noch einen Marktplatz, auf dem sie nicht schon gestanden hätte, keinen Winkel, zu dem sie nichts zu erzählen wüsste. Und da es auch in Radeburg so ist, dass am Ende mehr Stoff für die Sendung da ist, als man in der verfügbaren halben Stunde senden kann, kennt sie Geschichten, Begebenheiten, Persönlichkeiten, einzigartige Orte im Freistaat, wie kaum noch jemand, ja ich wage zu behaupten: wie nicht einmal der Ministerpräsident. Beneidenswert!

An ihrer Seite hat MDR-Redakteurin Heike Riedel nun auch schon zum 38. Mal das Drehbuch geschrieben. Aber nicht nur das. Die Germanistin ist sozusagen Beate Werners Scout. Sie geht auf die Suche nach interessanten Orten, sucht spannende Geschichten, vor allem dort, wo andere eher nicht suchen. Dabei erfährt sie manch Vergnügliches und Überraschendes und ihre Kunst ist es, alles in ein 30-Minuten-Drehbuch zu packen.

Wieviel Zille bietet Radeburg?

Heike Riedel erzählte: „Eine Kollegin hat mich heute in der Kantine gefragt, was ich denn alles so mit Zille in Radeburg mache, wo es ja eigentlich nur zwei Tafeln gibt...“ Man könnte ergänzen: und wo sie sich streiten, welches das Geburtshaus ist. Selbst bei Radeburgern ist die Meinung verbreitet, dass man sich darüber streitet. Das ist natürlich schon mal ein Ansatz, da ein Bisschen nachzuforschen und vielleicht das Rätsel zu lösen. Und da ist natürlich gleich die Frage: wenn der Zille nun tatsächlich hier geboren ist – wie viel Radeburg hat denn auf den Maler abgefärbt? Oder anders herum: wie viel Zille-Milljöh steckt in der Kleinstadt?

Beate Werner hat Glück. Denn ganz in der Nähe vom Bahnhof befindet sich der Heinrich-Zille-Hain, unser Stadtpark. Aus diesem tönt ihr Musik entgegen. Ein Leierkasten spielt:

„Aus dem Hinterhaus
schauen Kinder raus,
blass und ungekämmt,
mit und ohne Hemd.
Unten auf'm Hof
ist ein Riesenschwof
und ich denk mir so beim Geh'n:
Wo hast Du das schon geseh'n?"

Und tatsächlich entdeckt sie ein paar Kinder, Frauen, einen Mann und ja... Es dudelt weiter:

„Das war sein Milljöh,
das war sein Milljöh.
Jede Kneipe und Destille
kennt den guten Vater Zille...“

Ja und da ist er auch schon. In Pappmaschee, lebensgroß, naja, ein Bisschen größer, aber unverkennbar. Die Mitarbeiter vom Städtischen Bauhof haben dem Drehteam zuliebe die Figuren, die sonst den Heinrich-Zille-Weihnachtsmarkt zieren, mal eben in den Park gebracht. Die von dem Dresdner Künstler Alfred Werker geschaffenen Nachbildungen von Original-Zille-Motiven wirken durch den Sucher der Kamera fast lebendig – und dazu die Musik... Den Leierkastenmann, unseren Drehburgel, den kann sie dann auch ansprechen. Burkhard „Drehburgel“ Wilbat sorgt seit Jahren bei vielen Radeburger Festivitäten für „Zilleflair“.

Verbunden mit den Melodien des Leierkastens hat man mit dem Blick durch die Kamera tatsächlich das Gefühl, auf Zeitreise zu sein: ob Dampflok oder enge Gassen, ein Blick über die Dächer der Stadt, die von oben wirkt, als würde sie sich ducken, die sich beim Näherkommen auflöst in solche Bauwerke, die noch mittelalterlichen Scharm versprühen und solche, die den Geist der Gründerzeit verströmen, die größer sind, klassizistischen Habitus zeigen oder Jugendstil – da meint man tatsächlich, dass plötzlich Zilles Ahnen um die Ecke springen.

So ist es auch im Kulturbahnhof. Hier hat alles genau den Charme, den es schon 1884 hatte, als die Bahn in Betrieb genommen wurde. Der Betreiber des Kulturbahnhofs, Frank Mietzsch, legt Wert darauf, so viel wie möglich Historisches hier zu erhalten. Sein Betreiberkonzept geht auf. Seine Veranstaltungen haben ihren Reiz darin, nicht „Mainstream“ zu sein, sondern etwas für Liebhaber. Das spricht sich herum. Immer mehr seiner Gäste kommen aus dem Umland. Seinem Konzept sei Dank bleibt der Bahnhof so erhalten, ein Kulturdenkmal, das ansonsten vom Verfall bedroht wäre.

Ehrliches Handwerk

Ähnlich funktioniert auch das Konzept von Olav Seidel, der den Bärwalder Gasthof vor dem Untergang bewahrt hat. Konsequent, geradezu stur, hat er es durchgezogen und dafür auch eine lange Durststrecke in Kauf genommen. Modebegriffe wie „Gourmetkoch“ oder „Sternekoch“ begeistern ihn nicht. Er bemüht sich nicht sonderlich, dem „Geschmacksadel“ zu gefallen. Koch sein ist für ihn zuerst „solides Handwerk“ und das beherrscht er so meisterlich, dass man eben doch wieder bei Zille um de Ecke ankommt: damals, als es noch keine Geschmacksverstärker, Soßenbinder, Säureregulatoren und Aromastoffe gab, geschweige Fertiggerichte oder Feinfrost, hätte man einen Koch auch zum Teufel gejagt, der sein Handwerk nicht versteht. So wird der Herd bei Seidel auch ganz altmodisch mit Holz befeuert. Keine Internetseite, keine gedruckte, sondern eine handgeschriebene Speisekarte, die entsprechend kurz ist, nur so viele Tische wie er ohne Tricks bekochen und seine Frau Manuela auch bedienen kann. Und das ist dann auch sein Rezept, dass der Geschmacksadel doch auf ihn fliegt, so wie der Kunstadel einst auch auf den Pinselheinrich flog: In diesem Jahr gab es die zweite „Kochmütze“ des Gault-Millau und mit 15 Punkten gehört er zu den besten Gastronomiebetrieben Deutschlands. Wer solchen Geschmacksführern nicht glaubt: im Internet rangiert er auf Platz 1 der Gastronomiebetriebe Moritzburgs (!) und das Magazin „Stipvisiten“ bezeichnet ihn gar als „das beste Restaurant Dresdens“.

Einen Laden kannte Zille vielleicht noch... Auch so richtig passend ins zillesche Zeitalter scheint „Taschen-Weser“ zu sein. Das 1839 als Sattlerei gegründete Geschäft ist sogar noch älter als der Pinselheinrich. Wenn man dann den Ulrich Weser an der Nähmaschine sieht und mit den Bildern von damals vergleicht... Vielleicht hat der kleine Zille, dessen Wohnhaus nur wenige Schritte entfernt ist, ja sogar mal in diesen Laden geschaut. Nirgends ist das wahrscheinlicher als hier.

Ganz im Gründerzeit-Stil ist das Theodor-Krasselt-Werk. Karl-Theodor Dingler hat den Betrieb seiner Vorfahren zurückgekauft, sonst wäre er dem Verfall preisgegeben gewesen, denn die Bilderrahmenproduktion, die hier kurz nach der Wende Einzug hielt, hielt sich nicht lange. Zuvor produzierten hier die Hellerauer Werkstätten das Kinderzimmer Modell 721, unter anderem für den Export nach England, Frankreich und in die Schweiz. Der heute in Swisttal lebende Unternehmer zeigt MDR seinen Lieblingsplatz aus der Kindheit, erzählt, was ihm Radeburg immer noch bedeutet, und führt in eine Tüftlerwerkstatt, um zu beweisen, dass Radeburg auch nicht nur „von gestern“ ist.

Aber interessant waren für Zille doch die Hinterhöfe! Ist das hier auch so? Nicht ganz, denn Radeburg als Ackerbürgerstädtchen hat „hinten“ vor allem Bauernhöfe gehabt. Vorn das bürgerliche Haus, hinten die Scheunen und Schuppen. In einem solchen Haus hat sich die Malerin Petra Schade ihr Atelier eingerichtet. „Zille brauchte das große Berlin, um sich zu entfalten. Wie kann man in einer Kleinstadt als Künstlerin überleben?“ fragt Beate Werner. „Zillegören“ malt Petra Schade eher nicht. Zu ihren Motiven gehören neben Stadt- und Dorfansichten auch Bilder aus unserer unmittelbaren Landschaft.

„Landschaftsschutzgebiet Moritzburger Kleinkuppenlandschaft“ klingt erst mal nicht so sehr nach Radeburg, auch wenn der größte Teil des Gebietes heute zu Radeburg gehört. Moritzburg klingt nach Tourismus, aber den vermutet man in den Kleinkuppen eher nicht. Beate Werners Drehteam hat sich ausgerechnet in der unwirtlichsten Zeit, im November, auf Entdeckungsreise zwischen Kuppen und Teichen begeben und die Gegend, die wir zu kennen glauben, in wunderschönen Aufnahmen eingefangen.

Als sich das MDR-Team in der Kleinkuppenlandschaft umgeschaut hat, stießen sie aber noch auf den Wiedereinrichter Lothar Günther in Bärnsdorf. Auch er ist so ein Ehrlicher wie Olav Seidel: er macht das, was mit vernünftigem Kräfteeinsatz auf einem Hof und den umliegenden Feldern produziert und direkt vom Hof verkauft werden kann. Deshalb ist der Hofladen auch nur von Oktober bis Ostern geöffnet. In der anderen Jahreshälfte muss es wieder wachsen! Lothar Günther ist beliebt im Dorf und in der Umgebung. Das zeigen seine gut besuchten Hoffeste und seine langen Bestelllisten. Schmackhaft sind seine Produkte vor allem auch wegen seiner umsichtigen Wirtschaftsweise. Hier in der Kleinkuppenlandschaft, die Landschaftsschutzgebiet ist, gelten strenge Bedingungen für die Bewirtschaftung. Was der Landschaft gut tut, tut auch den Tieren gut, die von ihr leben.

Bei ihrer Rundreise stoßen Beate Werner und ihr Drehteam gerade dazu, als sich eine größere Menschenansammlung am Dorfteich zu schaffen macht... Naja, so zufällig auch nicht. Die Freunde vom Bärnsdorf(Er)leben e.V. wussten schon Bescheid, aber die Begeisterung über den Dreh hielt sich zunächst in Grenzen, da sie befürchteten, dass sich durch die Fernsehleute ihre Aufbauarbeiten am wahrscheinlich größten Schwimmbogen der Welt erheblich in die Länge ziehen würden. Bis man einen Dreh im Kasten hat, bis man vor allem den Kameramann davon überzeugt hat, dass die Aufnahme perfekt ist, kann es schon mal drei, vier Anläufe dauern. Davon kann ich selber ein Lied singen, denn just als ich am Heroldstein erklären wollte, warum es schon mal tödlich ausgehen kann, Radeburg und Radeberg zu verwechseln, schmiss in der Nähe jemand seine Kreissäge an. Und den muss man dann erst mal finden und ruhig stellen. Beim Dreh am Schwimmbogen ging aber alles glatt und die Bärnsdorfer wurden sogar eher zur Eile angehalten, weil auch die Kleinbahn noch „eingefangen“ werden sollte, die nicht warten würde. Jedenfalls musste der schwimmende Schwibbogen, der nicht unwesentlich zum Ruhm des Bärnsdorfer Weihnachtsmarktes beigetragen hat, unbedingt aufs Zelluloid. Und zeigen will man ja schließlich auch, wie hier ein ganzes Dorf für sein Wohlergehen mit anpackt. Das hat ja auch was! „Wir hoffen jetzt einfach, dass sich die Bärnsdorfer mit uns über den gelungenen Film freuen,“ sagte Heike Riedel im Anschluss.

Stoff für zwei Sendungen

Radeburg war so interessant, dass das MDR-Team um Moderatorin Beate Werner vom 10. bis zum 28.11. immer wieder in der Stadt und auf den Dörfern auftauchte. Filmmaterial auf der Rolle, das für zwei Filme reichen würde! Nun besteht die Kunst im richtigen Gebrauch der Schere und trotzdem tut jeder Schnitt weh. Das Einkaufserlebnis im Ratskeller, wo es eine Umkleidekabine mit Zille-Graffiti gibt, die Graffitis nach Zillemotiven im Stadtbild, in der Zilleschule, die Denkmale – was zeigt man, was lässt man weg? Wir lassen uns überraschen. Dabei haben sie noch nicht mal alles aufgenommen! Gespeist haben sie zu Mittag im „Hirsch“ und erfahren, warum der im Volksmund „Hammerschänke“ heißt. Grausiges geschah hier vor genau 50 Jahren: der Mord an Paul und Else Thomschke. Gespeist haben sie auch im Deutschen Haus, wo es Zille-Speisen gibt und wo der Radeburger Volksfasching 1957 aus der Taufe gehoben wurde. Und dann haben es die MDR-Leute doch noch hinbekommen, dass Zille auf der Mattscheibe erscheint. Aber wie, das wird jetzt erst mal nicht verraten, denn wenn Sie schon alles wissen - warum sollten sie dann zur besten Abendbrotzeit am 27. Dezember MDR einschalten?

Sendezeit:


MDR Sachsen - „Unterwegs in Sachsen“
Moderation: Beate Werner
27.12.2014 – 18:15-18:45


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