Dienstag, den 16. Dezember 2014 16:07 Alter: 5 Jahr(e)

Autodiebstähle nehmen ab? Über statistische Denkfehler.

Kategorie: Dresdener Land und Umgebung, Radeburg und Umgebung

Bereich der Polizeidirektion Dresden

Wer auf Facebook die Seite „Polizeibericht Dresden“ aufruft, wird feststellen, dass Autodiebstähle täglich stattfinden. Da dies aber keine amtliche Statistik ist, kann das nur als Spitze des Eisberges bewertet werden.

In Radeburg hört man wenigstens wöchentlich von einem Autodiebstahl – wenn nicht öfter. Kurz mal nachgefragt beim Bürgerpolizisten? Fehlanzeige. Einer krank, einer im Urlaub. Telefon auf Moritzburg geschaltet. Vertretung Fehlanzeige. Zufälliger Engpass?

„Die Reviere sind unterbesetzt, die Polizisten ausgebrannt, überarbeitet, der Krankenstand so hoch wie nie,“ schimpfte Hagen Husgen, Chef der Polizeigewerkschaft Sachsen (GdP) schon 2011 in der  Bild-Zeitung bereits vor über einem Jahr. Und nennt einen Grund: den radikalen Stellenabbau.

2006 hatte die CDU/SPD-Regierung 2441 Stellen bei der Polizei abgebaut, 2010 beschloss die CDU/FDP-Regierung noch einmal 800 Stellen abzubauen, begründet mit abnehmender Bevölkerungszahl und (damit) abnehmender Kriminalität. [1]

Stellenabbau bei der Polizei führt zu sinkender Kriminalität?

Beispiel Autodiebstahl. Die Statistik gibt der Regierung auf den ersten Blick recht:

Nach einer Auswertung der Soko Kfz beim Landeskriminalamt Sachsen im Polizeilichen Auskunftssystem Sachsen (PASS) für die Landkreise und kreisfreien Städte wurden in den ersten neun Monaten dieses Jahres landesweit rund 2 470 Diebstähle von Kfz im Freistaat polizeilich registriert. Hochgerechnet auf 12 Monate werden das voraussichtlich 3293 Fälle sein. 2013: 3344 (darunter Kreis Meißen: 113); 2012: 3727 (MEI: 136). Ein stetiger Trend, denn 2010 war der statistische Höhepunkt. Also nehmen die Fallzahlen tatsächlich ab? Und die Aufklärungsquote steigt sogar! Von 2012 - 22% auf 24% in 2013 (2014 noch nicht vorliegend). Auf Anfrage von RAZ teilt die Pressestelle der Polizeidirektion Dresden mit, dass sich nach Auswertung von PASS jetzt schon sagen lasse, „dass das Gesamtniveau der Kraftwagen-Diebstähle in ganz Sachsen auch im Jahr 2014 geringer als in den Vorjahren ist.“


Trend der Autodiebstähle nach Monaten für die letzten drei Jahre [2]

Täuschen wir uns also alle?

Rolf Dobelli listet in dem Buch „die Kunst des klaren Denkens“ unter 52 Denkfehlern auch den statistischen Denkfehler auf. Ein amerikanischer Bürgermeister hatte sich mal darüber gefreut, dass nach dem drastischen Abbau von Polizeistellen die Zahl der Straftaten gesunken und die Aufklärungsquote gestiegen ist. Sein Trugschluss war: weniger Polizisten können rein arbeitszeitlich weniger Straftaten erfassen, auch wenn die tatsächlichen Straftaten zunehmen. Straftaten, die nicht erfasst werden, tauchen in keiner Statistik auf. Gehen wir mal davon aus, das wenigstens bei Kfz-Diebstählen immer noch alle erfasst werden, dann ist die gestiegene Aufklärungsquote aber trotzdem ein Trugschluss. Ob die Polizei ihre Arbeit schafft oder nicht, sieht man eher an der Zahl der „gelösten Fälle“, im amtsdeutsch „der ermittelten Tatverdächtigen“. Und die ist von 2012 auf 2013 noch stärker gesunken als die Fallzahlen: nämlich von 780 auf 712, hätte bei gleicher Bearbeiterzahl dann aber mindestens ungefähr gleich bleiben müssen.

Und überhaupt! Nur jeder 4. bis 5. Fall wird aufgeklärt! Im letzten Jahr wurden im Kreis Meißen von 113 nur ganze 19 „wiedergefunden“. Zum Teil schon zerlegt in Einzelteile.

Sachsen nimmt damit deutschlandweit einen unrühmlichen vierten Platz ein, pro Kopf sogar den zweiten. Wurden 2013 deutschlandweit 43 Kfz je 100 000 Einwohner gestohlen, waren es in Sachsen 83, also fast doppelt so viele.

Ortsansässige Ausländer sind kaum unter den Tätern

Das hat natürlich nicht in erster Linie etwas mit der Zahl der zu geringen Polizisten zu tun, sondern zuerst mit der geografischen Lage Sachsens an einer „Wohlstandsgrenze“.

Der Anteil Nichtdeutscher beim Fahrzeugdiebstahl betrug laut Statistik knapp ein Drittel aller Gesamtdiebstähle von Kfz. Auch hier ist die gefühlte Zahl der Auslandsdiebstähle höher als die tatsächliche. Warum? Es kann auch hier wiederum der Denkfehler darin liegen, dass nur die aufgeklärten Fälle dem Ausland zugerechnet werden können. Ein nicht aufgeklärter Diebstahl, also die Masse der Autodiebstähle, kann überhaupt keinem Personenkreis zugeordnet werden.

Sagt die Statistik überhaupt etwas Brauchbares aus? Ja. Die erfassten „nichtdeutschen Autodiebe“ reisten vorwiegend aus dem Ausland ein. Ausländische Mitbürger mit festem Wohnsitz in Sachsen treten selten als Tatverdächtige in Erscheinung. Insgesamt wurden 231 ausländische Personen ermittelt, darunter 122 Polen und 66 Tschechen.

276 ausländische Personen wurden beim Diebstahl aus Kfz erwischt, das ist rund ein Viertel aller dieses Delikts beschuldigten Personen - darunter 72 Polen, 60 Tschechen, 32 Tunesier, je 18 aus Algerien und Rumänien, 14 aus Litauen und 11 aus Libyen. [3]

Am 17. Juli 2014 hatte Ministerpräsident Stanislaw Tillich mit dem tschechischen Regierungschef Bohuslav Sobotka eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach die Zusammenarbeit insbesondere bei der Bekämpfung der Kraftfahrzeugdiebstähle verstärkt werden soll. Man glaubt also den eigenen Beschwichtigungszahlen nicht. Unter anderem sollen die Personalkapazitäten bei der Bekämpfung des Kraftfahrzeugdiebstahls gestärkt werden. Ein Signal zur Personalaufstockung?

Erst einmal nicht. Die Koalitionspartner CDU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag zwar verankert, „die Leistungsfähigkeit der sächsischen Polizei zu erhalten und zu stärken,“ aber erst einmal will man nur die von CDU /FDP geplante Einsparung von 800 weiteren Beamten stoppen.[4]

Immerhin. Hagen Husgen sagte nach einer ersten Bewertung des Vertrages: „Nach Jahren des vehementen Personalabbaus in der sächsischen Polizei beginnt man nun endlich, die Forderungen der GdP nach und nach zu realisieren. Vorerst 800 Stellen weniger einzusparen ist ein erster Schritt. Die Festschreibung einer hoffentlich ergebnisoffenen, ehrlichen und realistischen Evaluierung der zum 01.01.2013 eingenommenen Polizeiorganisation lässt hoffen, zumal auch erkannt wurde, dass die Stellen den Aufgaben zu folgen haben - Stichwort: Aufgabenkritik!“

„Es wird sich in der Praxis zeigen, ob der geplante Einstellungskorridor von 400 Polizeianwärterinnen und -anwärtern und zusätzlichen 100 Spezialisten ausreichend sein wird,“ so ist aus Kreisen der GdP zu vernehmen. „Für eine erfolgreiche und langfristig orientierte Arbeit braucht die Polizei Kontinuität und Verlässlichkeit hinsichtlich ihrer Strukturen, Standorte und Ausstattung.“

Der Landesvorsitzende der GdP Sachsen mahnt die konkrete und zügige politische Umsetzung der geplanten Arbeitsvorhaben durch die Koalitionspartner an. „Es darf nichts hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden, ohne den Sach- und Fachverstand der Basis zu nutzen. Dieser Fehler wurde in der Vergangenheit zu oft begangen.“, so Hagen Husgen.
Vernunft und Kompetenz sind nun gefragt! [5] Und die Bürger dürften genau das auch erwarten.

KR

Quellen und weiterführende Links:


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