Donnerstag, den 20. November 2014 10:02 Alter: 5 Jahr(e)

Asyl in Radeburg: in der Kette das schwächste Glied

Kategorie: Radeburg und Umgebung

VON: KR

Auf der Webseite der Stadt wurde seit dem 20. November 2014 über die Aufnahme von Asylsuchenden in Radeburg informiert, wozu die Stadt nach Sächsischem Flüchtlingsaufnahmegesetz verpflichtet ist. RAZ berichtete in der Januarausgabe 2014 bereits über den Fakt.

Nach damaligem Stand wollte der Landkreis in Radeburg bis zu 20 Asylsuchende dezentral, also nicht in Sammelunterkünften, sondern in einzelnen Wohnungen unterbringen. "Es wird sich dabei um Familien handeln," so die damalige Aussage.

Die erste Wohnung wurde im Mai 2014 im Wohngebiet Meißner Berg tatsächlich mit einer Familie aus Syrien belegt.

"Das Landratsamt teilte nun mit, dass in den nächsten Tagen zwei weitere Wohnungen im Wohngebiet Lindenallee mit Menschen aus Libyen belegt werden," heißt es auf der Webseite. "Die Mieter wurden wieder mit persönlichen Anschreiben informiert. Die vierte Wohnung (Wohngebiet Meißner Berg) wird aktuell noch saniert. Wann und in welcher Form die Belegung erfolgt, wurde noch nicht mitgeteilt."

Erst auf Nachfrage der Stadt Radeburg hatte das Landratsamt mitgeteilt, dass die ursprüngliche Zusicherung, die Wohnungen ausschließlich mit Familien zu belegen, aufgrund der dramatischen Zunahme des Flüchtlingsstroms und dadurch geänderter Rahmenbedingungen nicht mehr gehalten werden könne. Aktuell müssten vorwiegend Einzelpersonen untergebracht werden. Die untergebrachten Personen werden jedoch, wie schon ursprünglich zugesagt, während ihrer gesamten Aufenthaltszeit durch Mitarbeiter der Diakonie betreut.

In der Stadtratssitzung am 4. Dezember wurde nun unter „Verschiedenes“ dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Obwohl in den öffentlichen Aushängen angekündigt, war das Bürgerinteresse nicht größer als sonst auch. Der Ausländerbeauftragte und 2. Beigeordnete des Landrates des Landkreises Meißen, Ulrich Zimmermann (CDU), berichtete zur Unterbringung von Asylbewerbern im Landkreis Meißen.

Nur ein Drittel der Einwanderer sind Flüchtlinge

Man müsse verschiedene Arten von Flüchtlingen unterscheiden, erläuterte er. Da seien zunächst die Kontingentflüchtlinge zu nennen, mit denen wir es aktuell zu tun haben. Dies betrifft Flüchtlinge, die zum Beispiel im Rahmen einer humanitären Hilfsaktion aufgenommen wurden. Sie durchlaufen kein Asyl- und auch kein sonstiges Anerkennungsverfahren, sondern erhalten mit ihrer Ankunft sofort eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Sie können ihren Wohnsitz jedoch nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht frei wählen, sondern werden nach einem Schlüssel (Kontingent) auf die Bundesländer verteilt. Hier gelten alle Aufgenommenen als berechtigt.

Des Weiteren gibt es so genannte Ad-hoc-Flüchtlinge, die Deutschland von Erstaufnahmestaaten übernimmt, zum Beispiel weil Flüchtlingslager überfüllt sind oder das Aufnahmeland überfordert ist. 60% der Aufgenommenen erhalten dann tatsächlich Asyl.

Die dritte Gruppe sind die Wirtschaftsflüchtlinge, die aus als sicher geltenden Staaten kommen. Sie kommen vor allem aus Balkanstaaten, wo zum Beispiel Sinti und Roma gesellschaftlich ausgegrenzt werden, aber auch aus Tunesien und Marokko – die so genannten Boot People, denen windige Geschäftemacher das letzte Vermögen abnehmen für das Versprechen, dass sie auf diesem Weg ihrem Elend entkommen können. Sie kommen ohne Asylgrund und werden wieder abgeschoben. Sie machen 30% aller Asylbewerber aus und haben das Recht auf ein Asylverfahren, was dem Gesetz nach so ist, aber, wenn man die Überlastung der zuständigen Behörden sieht, mal überprüft werden sollte.

In den einschlägigen Internetforen werden zudem noch weitere Begriffe munter durcheinander geworfen und vermischt, was zu zahlreichen Missverständnissen führt. Immigranten oder Einwanderer sind der Überbegriff für alle, die im Land einen dauerhaften Aufenthalt anstreben. Nur ein Viertel aller Einwanderer sind Asylanten. Drei Viertel aller Einwanderer sind infolge gelenkter, also gewollter Zuwanderungspolitik hier, die zum Ziel hat, Fachkräfte in bestimmten Berufsgruppen für unser Land zu gewinnen – Ärzte, Wissenschaftler, Ingenieure, Pflegekräfte, Facharbeiter in der Industrie, Erzieher, Lehrer.

Einwanderung kann man steuern, Flucht nicht

Nur 2% der Einwohner Sachsens sind Ausländer. Inklusive der Asylbewerber sind im Kreis Meißen sogar nur 1,6% Ausländer. Das sind eigentlich nicht genug. Studien haben für viele Länder Europas ergeben, dass sich diese nicht mehr ausreichend reproduzieren. In Sachsen ist die Lage sogar besonders dramatisch. Die Alterung der sächsischen Bevölkerung bedingt, dass die Gruppe der Erwerbsfähigen überproportional sinkt. Im Jahr 2020 wird die Zahl der Erwerbsfähigen auf ca. 75 % des Niveaus von 2000 sinken. Ohne Zuwanderung wird Sachsen in 10 Jahren ein Land der Greise sein. Müssen wir also für jeden dankbar sein, der kommt? Ist die bisherige Zuwanderungspolitik richtig?

Nur 39% der Zuwanderer haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, die gut Ausgebildeten kommen aber überwiegend aus unseren östlichen EU-Nachbarländern, die ihrerseits unter dem Verlust ihrer Fachkräfte leiden. Protest, der sich gegen die derzeitige Zuwanderungspolitik richtet, ist beim Blick auf die Fakten berechtigt, hat aber mit dem Thema Asyl nur am Rande zu tun. Fluchtaktionen von ganzen Volksgruppen oder Religionsgemeinschaften kann man nicht steuern. Man kann darüber sinnieren, was anders wäre, wenn die globale Politik eine andere wäre. Das sollte man an der richtigen Stelle auch tun. Das hilft aber nicht denen, die jetzt bei uns ankommen und in naher Zukunft noch ankommen werden.

So schildert Ulrich Zimmermann die Lage: Kamen in den Kreis Meißen 2011 noch 150 bis 180 Asylsuchende, waren es 2012 schon doppelt so viele. 2014 sind wir zu Weihnachten voraussichtlich bei 837 Flüchtlingen angekommen. Nächstes Jahr werden noch einmal 900 in den Landkreis kommen. Während der Bund Asylbewerber nach dem so genannten „Königssteiner Schlüssel“ verteilt, der sich aus den Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl errechnet und nach dem auch die Aufteilung auf die Landkreise erfolgt, geht der Kreis Meißen einen anderen Weg. Er sucht auf Kreisebene nach geeigneten Quartieren. Würde der Königssteiner Schlüssel auf Radeburg angewendet, müsste Radeburg 67 Asylbewerber aufnehmen, Radeburg hat aber der freien Kapazitäten wegen aktuell nur 26 Asylbewerber unterzubringen. Moritzburg hätte 65 Asylbewerber aufzunehmen, hat aber keinen kommunalen Wohnungsbestand und kann deshalb derzeit gar keinen aufnehmen. „Wir haben Möglichkeiten, zum Beispiel in der Diakonie, und er Landkreis hat ja auch noch die Schule, die man nutzen könnte,“ erklärt Jörg Hänisch dazu auf Nachfrage von RAZ. „Wir würden gerne mitwirken, schon aus Solidarität mit den anderen Kommunen und das wird im nächsten Jahr auch sicher auf uns zukommen.“ Mit 128 Asylbewerbern nimmt Radebeul die meisten auf, gefolgt von Weinböhla mit 118 und Meißen mit 105.

Herr Zimmermann schildert die Dramatik der Lage, mit der sein Amt und der Landkreis konfrontiert sind. „Der Bund lässt den Ländern keine Zeit mehr, zu sortieren. Wir haben gerade mal 3 Tage Zeit, um die Flüchtlinge aufzunehmen,“ schildert er. So lässt sich nicht mehr steuern, dass Familien in die bereitstehenden Einzelwohnungen und die Gruppen junger Männer in die Heime kommen. Dazu kommt, dass die Behörde im Landkreis personell seit 2011 nicht aufgestockt wurde, ebenso wenig die mit der Betreuung betraute Diakonie Riesa-Großenhain, die gerade mal fünf Betreuer zur Verfügung hat und ganz zu schweigen von der Justiz, die die Asylanträge bearbeiten muss – was jetzt schon zirka 20 Monate dauert – und da auch diese nicht aufgestockt wird, sich auch weiter verschärfen wird. Mehr Richter einzustellen lehnt der Freistaat ab.

Die meisten Ausländer wollen hier arbeiten

Auch wenn die Asylbewerber für sich gesehen eine Belastung sind und unser Steuergeld kosten, haben Ausländer insgesamt in Deutschland eine positive fiskalische Bilanz. Die bei uns lebenden Ausländer erwirtschaften durchschnittlich pro Kopf 3300,- € mehr sie uns kosten. Jeder Bürger könnte mehr als 400 Euro jährlich steuerlich entlastet werden, wenn künftig pro Jahr mindestens 200 000 Zuwanderer nach Deutschland kämen und 30 Prozent von ihnen hoch und weitere 50 Prozent mittel qualifiziert wären. 300 000 Zuwanderer wären nötig, um den erreichten Wohlstand in Deutschland zu sichern. Also „auf der Tasche“ liegen nur die Asylbewerber, aber Umfragen haben immer wieder gezeigt, dass diese für ihr Geld arbeiten wollen. Das deutsche Recht verbietet das leider – für 4 Jahre, und auch dann dürfen sie nur Tätigkeiten ausüben, für die zuvor kein Deutscher zu finden war. Das Gesetz verbietet ihnen, Deutsch zu lernen, einen Beruf zu lernen – kurz: das Gesetz steht der Integration dieses Personenkreises im Wege. Hier ist klar die Politik gefordert und die Stadträte machten sich auch verbal entsprechend Luft, vor allem Mitglieder der CDU-Stadtratsfraktion. Doch Zimmermann wehrte ab. Ihm seien solche Diskussionen zuwider. Geführt werden müssten sie aber trotzdem, so die Meinung der Stadträte, die sonst durchaus unterschiedliche Positionen vertreten.

Bürgermeisterin Michaela Ritter schilderte, wie Probleme vor Ort dann konkret aussehen. Dem Vernehmen nach kamen die ersten drei jungen Männer in Radeburg an der Tankstelle an und wussten nicht weiter. Sie waren – ohne Begleitung – vom Aufnahmelager Chemnitz aus in den Zug nach Dresden gesetzt worden und sollten mit dem Bus Linie 326 nach Radeburg fahren. Die drei Männer ohne Sprachkenntnisse stiegen in Radeburg aus dem Bus, ohne zu wissen wo hin. Der Tankstellenbetreiber rief die Polizei, der diensthabende Polizist rief die Bürgermeisterin an und gemeinsam gingen sie dann erst mal zu dem Haus, in dem sie untergebracht werden sollten. Das Diakonische wurde informiert und die haben sich dann auch vorbildlich gekümmert. Aber hier funktionieren Informationsketten nicht. Das muss sich ändern.

Als die Männer dann in ihrer neuen Bleibe waren, feierten sie irgendwann auch mal. Nachts wurde die Polizei gerufen wegen ruhestörenden Lärms. Ohne sprachliche Kommunikation geht das schon mal nicht so gut. Die Scheibe einer Balkontür ging zu Bruch. „Das ist dann die Symbolik, die wir gerade nicht brauchen,“ resümierte Michaela Ritter. Das nächste Mal rückt die Polizei an, weil die neuen Mieter ihre Wohnungstür offen stehen lassen. Das sind an sich harmlose Dinge. Die Neuankömmlinge müssen hiesige Gepflogenheiten auch erst lernen, aber es müsste dann auch jemand vor Ort sein, der ihnen das beibringt. Das fehlende Personal wurde recht schnell von den Stadträten als ein Kernproblem ausgemacht. Frank Feuker fragte, wieso man das denn dann nicht aufstocke. „Die starke Bürgermeisterfraktion im Kreistag ist gegen eine Erhöhung der Kreisumlage, weil das zu ihren Lasten geht. Eine Erhöhung wäre aber notwendig, wenn wir mehr Personal einstellen wollen,“ antwortete Zimmermann. Rüdiger Stannek, der zugleich Kreisrat ist, bestätigte die finanziellen Zwänge.

Michaela Ritter sah das Hauptproblem aber eher bei der schlechten Information der Bürgermeister. „Da wird nicht miteinander geredet. Da bekommt man nur mal ein Fax. Die Kommune ist in der ganzen Kette das schwächste Glied.“ Eine Kette, die bei der globalen Verantwortung beginnt, die Deutschland hat oder zu haben glaubt. Das ist durchaus strittig und führt zu den bekannten Demonstrationen und Gegendemonstrationen in unserer Landeshauptstadt und anderswo. Vor Ort kann man nur wenig tun, aber wenigstens das: den Ankömmlingen Beschäftigung geben – sie können für 1,05 € beschäftigt werden - ihnen wenigstens 2 Tage pro Woche Deutschunterricht geben, Begegnungsmöglichkeiten mit Vereinen schaffen. Diese Aufwendungen sollen aus dem Haushalt des Landkreises beglichen werden, versichert Zimmermann. Bis das mal soweit ist, wird vor Ort organisiert, was möglich ist – Betreuung durch Ehrenamtliche oder Deutschkurse an der Schule. Die Hauptsache ist vorerst eine sinnvolle Beschäftigung derjenigen, die hier ankommen. Aber es sind fast nur junge Männer, die es bis hier geschafft haben. „Die Familien schicken die jüngsten, die stärksten, die, bei denen sie glauben, dass sie es schaffen könnten,“ weiß auch Zimmermann. Bei denen wird sich Frust aufbauen, wenn sie zwar in Freiheit, aber quasi an einen Ort gefesselt und eingesperrt sind, nicht arbeiten können und sich mit ihrem Antrag nichts tut. Und dann kommen Ablehnung und Abschiebung.

Stadtrat Heiko Gneuß (CDU-Fraktion) kritisiert die Beschwichtigungspolitik der Medien.

Michaela Ritter zieht am Ende der Diskussion ein klares Fazit: „Das kann künftig nicht mehr so laufen.“

Und tatsächlich bewegt sich was: Am Donnerstag, dem 11. Dezember, trifft wieder ein Fax ans Rathaus ein. Wieder eine Schlüsselnummer, Namen und Geburtsdaten. Nicht schon wieder junge Männer? Nein. Eine Familie mit vier Kindern zwischen vier und zehn Jahren. Aus dem Kosovo. „Und dieses Mal kam parallel aus der Ausländerbehörde des Landratsamtes auch eine Mitteilung per Mail an die Bürgermeisterin mit allen notwendigen Informationen,“ teilt Bürgermeisterin Michaela Ritter mit. Ein Lernprozess ist offenbar im Gange.


weiterführende Links:

 

 


Kommentieren auf Gefällt mir!