Montag, den 22. September 2014 18:39 Alter: 5 Jahr(e)

Nachruf Paul Tiedemann: Name ist Ehre und Anspruch

Kategorie: Radeburg und Umgebung

VON: KLAUS KROEMKE

Am Sonntag, dem 21. September 2014, ist Paul Tiedemann im Alter von 79 Jahren im Seniorenheim Treffling in Engerwitzdorf bei Linz gestorben. Wie seine langjährige Lebensgefährtin Hedi Fehrer mitteilt, ist er friedlich eingeschlafen.

Nur eine Woche zuvor, am Sonnabend, dem 13. September 2014, wurde die Sporthalle, die bisher den technischen Namen „Zweifeldhalle“ und den geografischen Namen „Sporthalle am Meißner Berg“ trug, umbenannt und trägt jetzt den Namen eines der besten Handballer des letzten Jahrhunderts, eines Radeburger Sprösslings, der Sportgeschichte geschrieben hat.

Paul Tiedemann in Linz (Foto: privat)
Paul Tiedemann in Linz (Foto: privat)

Im Beisein von gut 250 Gästen vollzogen Bürgermeisterin Michaela Ritter, Paul Tiedemanns Lebensgefährtin Hedi Fehrer, Handball-Abteilungsleiter Gerold Krüger und TSV-Vorsitzender René Eilke den Schnitt durchs rote Band, der den Namen offiziell frei gab. (Foto: K.Kroemke)
Im Beisein von gut 250 Gästen vollzogen Bürgermeisterin Michaela Ritter, Paul Tiedemanns Lebensgefährtin Hedi Fehrer, Handball-Abteilungsleiter Gerold Krüger und TSV-Vorsitzender René Eilke den Schnitt durchs rote Band, der den Namen offiziell frei gab. (Foto: K.Kroemke)

„Der Radeburger Handball trauert. Mit großer Bestürzung und tiefer Trauer erfuhr die Handballgemeinde vom Tode Paul Tiedemanns. Der TSV Radeburg, Abteilung Handball, wird sein Lebenswerk mit der Hallenumbenennung in Ehren halten.“, sagte Radeburgs Handball-Mäzen Ralf Arndt.

Zwar wurde Paul Tiedemann nicht hier geboren. Als seine Königsberger Heimat an die Sowjetunion angegeliedert und Paul mit seiner Familie vertrieben wurde, landete er in unserer Stadt. Schwere Schicksalsschläge zeichneten sein Leben.

Drei Geschwister hatte Paul bereits verloren und noch eine Schwester sollte er in Radeburg durch die sowjetische Besatzung verlieren. Die Fakten wurden zu DDR-Zeiten verschwiegen. Sie gilt schlicht als vermisst, ihr Fall wurde nie aufgeklärt. Bei der Ankunft der Familie war Radeburg, von Kriegsschäden weitgehend verschont, schon voll mit Flüchtlingen. Als erster Aufnahmeort galt das „Schützenhaus“ - der spätere Lindengarten, von dem heute nur noch die Kegelbahn am Lindenplatz übrig ist. In jedes freie Zimmer wurde jemand eingewiesen, oft mehrere Personen. Allerdings sah sich kaum jemand in der Lage eine Familie mit vier Kindern aufzunehmen. Nach langer Suche kamen sie zunächst auf der Großenhainer Straße 2 (älteren bekannt als „Kaufmann Müllers Haus“), gegenüber dem Hirsch unter. Weitere Adressen waren eine Seilerei auf der Dresdner Straße, die Bahnhofstraße und die Königsbrücker Straße 1. Die Familie wohnte lange Zeit in der Röderaue 28, gegenüber der heutigen Hagenuk KMT.

Seine Freunde und Weggefährten Klaus Langhoff und Lothar Fährmann, sowie eine Abordnung der TSV besuchten Paul Tiedemann noch am 26. August im Seniorenheim und überbrachten Grüße und Präsente, u.a. ein extra für ihn angefertigtes, limitiertes Trikot mit seiner Spielernummer, aus der Heimat. Zusammen ließ man die Zeit Revue passieren, wie die sportliche Karriere Tiedemanns begann und wie das besondere Verhältnis zu seinen Eltern war. Paul Tiedemanns langjähriger Weggefährte Klaus Langhoff erzählte eine Episode, die Pauls enges Verhältnis zu seinen Eltern dokumentiert. Der DDR-Nationalmannschaft wurden bei einem Auslandsaufenthalt sämtliche Pässe gestohlen. Da bald ein Wettberwerb in Bratislawa anstand, wurden provisorische Ausweise ausgestellt. Mit Pauls Ausweis stimmte etwas nicht, so dass er in Schmilka aus dem Zug geholt wurde. Da sich die Aufklärung hinzog, fuhr der Zug ohne den Nationaltrainer weiter. Etwa zwei Stunden später bedauerten die Grenztruppen ein Missverständnis und erboten sich, ein Taxi zu organisieren, das Paul nach Bratislawa bringt. Er lehnte den „unangemessenen Aufwand“ ab und, weil er schon mal in der Nähe war, nutze er die gewonnene Freizeit, um seine Eltern in Radeburg zu besuchen.

Nachdem er an der hiesigen Grundschule, der heutigen Heinrich-Zille-Schule, zwei verlorene Schuljahre nachholte, bei denen er besonders von Lehrer Wolfgang Ulbricht gefördert wurde, der ihm den Weg übers Abitur zur Sporthochschule vorzeichnete, ging er an die Oberschule (Gymnasium) in Radebeul und wurde zum aktiven Sportler bei der BSG Traktor Radeburg. In seiner Freizeit spielte er sowohl Feldhandball als auch Fußball. Bis zum Abitur 1954 spielte er, aufgrund seiner Begabung, bereits als Junior schon bei den Männern Radeburgs Handball. Im selben Jahr begann er sein Studium bei der DHfK und gleichzeitig verstärke er das im Aufbau befindliche gleichnamige Handballteam, das seinen Weg bis an die Spitze des DDR-Handballs machte. Das Studium schloss er 1957 mit dem Sportlehrerdiplom ab. Kaum ein Jahr Student war er schon Nationalspieler und hatte maßgeblichen Anteil an den Erfolgen des DDR-Handballs in jener Zeit.

Eine Leipziger Zeitung zählte ihn damals zu den weltbesten Handballern aller Zeiten. Am Ende seiner Spielerkarriere konnte er auf 100 Länderspiele verweisen, schoss dabei 303 Tore. Darunter 30 Spiele auf dem Großfeld (82 Tore).

Die sich anschließende 30jährige Trainerkarriere war nicht minder erfolgreich. Er begann sie als Trainer einer neu zu formierenden DHfK-Mannschaft. Trainierte gleichzeitig auch DHfK-Nachwuchs, die Junioren- und B-Nationalmannschaft und war Co-Trainer des A-Nationalkaders. 1976 verpasste die DDR auf dramatische Weise nur durch schlechteres Torverhältnis und einen verschossenen 7-Meter in letzter Sekunde gegen die BRD die Olympiaqualifikation, worauf der langjährige Nationaltrainer Heinz Seiler sein Amt niederlegte und Tiedemann das Amt übernahm, das er bis zum Ende des Jahres 1988 inne hatte. Während dieser gesamten Zeit war sein langjähriger Weggefährte und späterer Nachfolger Klaus Langhoff sein Assistenztrainer.

Tiedemann führte das DDR-Team zurück an die Weltspitze. Nach der gegen Schweden durch einen Freiwurf in letzter Sekunde verlorenen B-WM 1977, folgte ein 3. Platz bei der A-WM in Dänemark. Die gemeinsamen Freunde ließen beim Besuch in Österreich die Vergangenheit aufleben, besonders den legendären 23:22-Olympiasieg über Gastgeber und Titelverteidiger UdSSR, aber auch über den Olympiaboykott 1984. Bei den ersatzweise ausgetragenen „Wettkämpfen der Freundschaft“ besiegte die DDR zwar im Finale wieder die UdSSR, aber das war kein Trost für einen nicht unwahrscheinlichen erneuten Olympiasieg. Auch nicht, dass Spieler und Trainer den Vaterländischen Verdienstorden der DDR in Gold erhielten. Eine ganze Spielergeneration wurde damals um ihre sportliche Chance betrogen. Mit dem Umweg über die B-WM schafften die Tiedemann-Schützlinge 1986 noch einmal den 3. Platz bei der A-WM, bevor Paul sein Amt an Klaus Langhoff abgab.

Seine Trainerkarriere setzte Paul in Ägypten fort und führte die Nationalmannschaft 1991 zum Afrika-Meistertitel. Seine Frau Karin Tiedemann, die er an der DHfK kennenlernte und 1961 heiratete, starb an den Folgen eines 1990 in Kairo erlittenen Verkehrsunfalls. Sie wurde an einer Haltestelle von einem Linienbus angefahren. Ein Milzriss wurde von den dortigen Ärzten übersehen und als dieser nach Überführung und Einweisung in die Charité dann entdeckt wurde, war es bereits zu spät. Karin hatte noch gehofft, in Berlin ihre kurz zuvor geborene Enkeltochter sehen zu können. Auch dies glückte nicht. Eine weitere Tragik in Pauls Leben. Trotz der vielen Schicksalsschläge ist er aber allen, die ihn kennen als ruhiger, zurückhaltender Mann bekannt. Als Trainer war er eher das Gegenteil von einem Heiner Brand. Paul Tiedemann war jemand, der stets ruhig auf seiner Bank saß, sich äußerlich nicht über Schiedsrichter aufregte und auch sonst scheinbar durch nichts aus der Ruhe zu bringen war. Dass er auch laut und bestimmt werden konnte, wenn es notwendig war, wissen eigentlich nur seine Spieler, aus dem engsten vertrautesten Kreis. Vor der Kamera trat er nie extrovertiert oder laut auf. Vielleicht ist auch seine Bescheidenheit ein Grund, dass man ihn in seiner zweiten Heimat lange übersehen hat. Eigentlich, so kann man im Rückblick sagen, wäre die Benennung der Zweifeldhalle schon bei ihrer Einweihung angebracht gewesen.

Vielleicht ist es aber auch der neue Aufschwung des Radeburger Handballs, der vor rund zehn Jahren mit dem Erreichen des Sachsenpokal-Finales begann und der durch das Wirken von Ralf Arndt, Eberhard Kitsch, Gerold Krüger, Maik Handschke und Martin Hrib einen neuen Schub erhalten hat, sodass Radeburgs Sport erst jetzt sich selbst für würdig hält. Zur Einweihung am 13. September wäre Paul Tiedemann gerne nach Radeburg gekommen. Aufgrund der langwierigen und schweren Viruserkrankung, gegen welche er nun den Kampf verlor, war er dazu nicht mehr in der Lage. Im Beisein von gut 250 Gästen, unter denen sich auch Tiedemanns Kinder Katrin und Jörg sowie seine Enkelkinder befanden, vollzogen Bürgermeisterin Michaela Ritter, TSV-Vorsitzender René Eilke und Paul Tiedemanns Lebensgefährtin Hedi Fehrer den Schnitt durchs rote Band, der den Namen offiziell frei gab. Zu den offiziellen Gästen gehörten auch der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, Andreas Michelmann, die Vertreter des Handballverband Sachsen Dieter Adam und Jens George, und die stellvertretende Vorsitzende des Kreissportbundes Meißen, Margot Fehrmann, die in ihren Grußworten auch auf eigene Erinnerungen an Paul Tiedemanns Zeit in Radeburg verweisen konnten. Die Abteilung Handball brachte in ihrem Grußwort den besonderen Stolz dieser Umbenennung zum Ausdruck und verwies auf die besondere Verantwortung und Herausforderung für die zukünftigen Ziele und Entwicklung des Handballs in Radeburg. Paul Tiedemanns Werdegang, sein sportliches Verhalten, sein tapferes Wiederaufstehen und Weiterkämpfen nach Rückschlägen und schweren Schicksalsschlägen machen ihn zum Vorbild und mit der Namensgebung stellen sich Radeburgs Sportler und stellt sich die Stadt dem Anspruch, ihm gerecht zu werden.

Paul Tiedemann, wir alle sind stolz auf dich !

Stationen und Erfolge

 

— als Spieler

  • 1958 3. Platz WM gesamtdt. Hallenhandball
  • 1959 Auszeichnung als erste „Mannschaft des Jahres“in der DDR als Kapitän
  • 1959-62 DDR-Meister Hallenhandball
  • 1961 4. Platz WM gesamtdt. Hallenhandball
  • 1963 1. Platz WM DDR Feldhandball
  • 1965 DDR-Meister Hallenhandball
  • 1966 Europapokalsieger in Paris Hallenhandball
  • 1966 DDR-Meister Hallenhandball
  • 1966 2. Platz WM DDR Feldhandball

— als Auswahltrainer

  • 1970-72 DDR-Turniermeister Hallenhandball
  • 1976-88 Chef-Trainer der DDR
  • 1977 1. Platz Ostseepokal Hallenhandball
  • 1978 3. Platz WM DDR Hallenhandball
  • 1979 1. Platz Ostseepokal Hallenhandball
  • 1980 1. Platz Olympia DDR Hallenhandball
  • 1981 1. Platz Ostseepokal Hallenhandball
  • 1986 3. Platz WM DDR Hallenhandball
  • 1988-92 Auswahltrainer Ägyptens
  • 1991/92 Afrikameister

— als Vereinstrainer

  • 1968-76 Trainer der 1. Hallenhandball-Herrenmannschaft SC DHfK Leipzig
  • 1992-96 Trainer bei ASKÖ Linde Linz (Österreich)
  • 1994 EHF-Cup-Finalist
  • 1994,95,96 Österreichischer Meister,
  • 1994,95,96 ÖHP-Pokalsieger  

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