RAZ ab 2012 mit Neuer Rechtschreibung - Version 2006

Original-Artikel im RAZ Nr. 13 / 2011: RAZ gibt „Widerstand“ gegen die neue Rechtschreibung auf

Widerstand ist sinnlos. Trotz fehlender Überzeugung wird der Radeburger Anzeiger ab Januar in der Rechtschreibung der Reform-Version von 2006 folgen. Es gibt kaum noch Medien, die der alten Rechtschreibung treu geblieben sind. Der Kampf um gutes Deutsch ist auf anderen Feldern wichtiger.

Die Rechtschreibung ist, entgegen weit verbreitetem Glauben, nur für Behörden und Schulen verbindlich, nicht aber für alle anderen Schreiber.

Das ist auch gut so, denn für Bürger mit Rechtschreibschwäche oder zum Beispiel Ausländer brauchen keine Nachteile befürchten, wenn sie nicht richtig schreiben. Das ist andererseits aber auch schlecht, weil das Zulassen von Schlechtschreibung unserer Sprachkultur schadet und damit unserer Identität. Ein tübischeß Beischbiehl aus den Tiefen des Internets:

1. Wieso sehen die "aliens" auf den Videos nie gleich aus es is ja ziehmlich unwahrscheinlich das mehrere aliens uns entdekt haben 2. währe das kein fake würden die behörden solche videos unter verschluß halten bis sie wissen ob gefahr besteht odern nicht und woher es kommt 3. das ist auch wieder son tübischeß hollywood alien weil man in den kino filmen fast immer so welche aliens sieht und das sätzt sich im kopf der menschen fest 4. wer weiß vileicht sehen aliens aus wie ein wurm?

Man sollte den Schreiber auslachen, muß das ansonsten nicht so ernst nehmen – und braucht es auch nicht, weil kein Gesetz einen dazu verpflichtet und Falschschreiber keine „Knöllchen“ bekommen und keine Punkte in Flensburg.

Bloß gut, denn ganz sicher hätten Vielschreiber wie ich schon so viele Punkte, daß sie zum Idiotentest (Diktat) müßten...

Und trotzdem...

„Ein Engländer wird, so wie er spricht gesellschaftlich betrachtet.

Kaum sagt er was, hat ihn ein anderer Engländer bereits verachtet,“

sagt Mister Higgins in dem 1956 uraufgeführten Musical „My Fair Lady“ von Alan Jay Lerner. Und auf Eliza Doolittle weisend höhnt er: „Sehen Sie diese Kreatur, ihr Rinnsteinjargon... wird sie ewig an die Gosse fesseln. Sechs Monate Unterricht, und ich gäbe sie unter Diplomaten als Herzogin aus.“

Schließlich spricht er sie direkt an: „Ja, du zerquetschtes Kohlblatt! Schandfleck unter der erhabenen Architektur dieser Säulen! Fleischgewordene Beleidigung deiner Muttersprache! Ich könnte dich genauso ausgeben als Königin von Saba.“

Elitärer britischer Dünkel? Keineswegs. Noch ernster sehen die Lage deutsche Sprachhüter, die auch den sogenannten „Eliten“ Sprachschwächen ankreiden:

„Das Sprachbewußtsein der Verantwortlichen in Wirtschaft, Politik und Medien ist zumeist sehr schwach ausgeprägt. Und das hat Folgen. Deutsch-englische Sprachmischungen nehmen überhand,“ schreibt das Magazin „Deutsche Sprachwelt“ aus Erlangen. „Sprachsünder überschütten die deutsche Sprache aus Gedankenlosigkeit, Prahlerei oder Mutwilligkeit mit entbehrlichen Fremdwörtern oder ersetzen sie sogar gänzlich durch ein Schmalspur-Englisch, auch Globalesisch genannt. So entstehen immer mehr Alltagsbereiche, die nur für eine Minderheit zugänglich sind, da die Sprache nicht mehr für alle verständlich ist.“

Und das ist der Punkt, von dem an tatsächlich Widerstand gegen Sprachschluderei leisten sollte.

Ein Beispiel: Der ADAC (Motorwelt 12/2011, S. 16) fragt Peter Ramsauer zu der Etaterhöhung für sein Ministerium: "Herr Minister, was machen Sie mit der Milliarde Euro?" Ramsauer antwortet: "Mit der zusätzlichen Milliarde holen wir kräftig Luft, können aber noch nicht entspannt durchatmen." Da kann man nur hoffen, daß er an dem vielen Geld nicht erstickt. Der Deutschlehrer hätte ein rotes „A“ an den Rand geschrieben. Beamte sind zwar zur Rechtschreibung verpflichtet, Blödsinn dürfen sie aber trotzdem reden.

Sagte eben im Radio ein Reporter über einen Leipziger Fußballspieler: „Der Meuselwitzer wurde operiert - in Leipzig an der Leiste.“ Dabei weiß doch jedes Schulkind, daß das heißen muß: in Leipzig an der Pleiße. Was er meinte und was er sagte ist hier schon ein Unterschied.

In der DNN ist zu lesen: „Der Freistaat tut zu wenig für Schulschwänzer, sagen Experten.“ Was sind das für komische Experten, die meinen, der Freistaat müsse mehr für Schulschwänzer tun? Er tut schon zu wenig für gutes Deutsch. Soll er das Fernsehprogramm vom Vormittag deren Wünschen anpassen oder was?

Zum Beispiel breiten sich jetzt auch an sächsischen Schulen „Lesescouts“ aus. Eine merkwürdige deutsch-englische Chimäre, die anscheinend „jugendkompatibler“ (jugendgemäßer) ist als der gute alte Bücherwurm. Was haben die vor? Ach so, die sollen den Kidz Fun machen auf e-Books und so, damit die mehr Bücher checken, alles klar, Alter?

Ein blöder Bücherwurm kann wahrscheinlich aus dem Web (Netz) nicht downgeloaded (heruntergeladen) werden – es sei denn, man fragt unter einer Servicehotline (Servicerufnummer) nach einem Upgrade (nach einer Aktualisierung). Und warum schreibt man Handy nicht Händi – wie man es spricht? Weil es Englisch ist? Lassen Sie sich mal von einem Engländer erklären, was er unter einem Handy versteht. Sie werden staunen! Das „mobile“ jedenfalls nicht.

In sächsischen Verwaltungen ist jetzt E-Government eingezogen, heißt es auf der Webseite des Freistaates. Man kann sogar anklicken, was es bedeutet: „Der Begriff »E-Government« beschreibt eine Zielvorstellung und gleichzeitig den Veränderungsprozess, mit dem das Ziel erreicht werden soll.“ Aha. Da wäre ich jetzt alleine gar nicht drauf gekommen. Sie sehen, man versteht schon Deutsch nicht, geschweige Denglisch. Und unter dem Druck solcher Probleme wird der Widerstand gegen die Rechtschreibreformen zur albernen Wichtigtuerei.

Also stellt RAZ 2012 auf die neue Schreibweise um. Nur der Zorn bleibt. Die Reform von 1996 hatte das Ziel, die Rechtschreibung zu vereinfachen. Damit sie einfacher wird, hätte man zum Beispiel das ß, wie in der Schweiz, gänzlich abschaffen sollen. Aber statt zu vereinfachen wurde verkompliziert. Vorher haben wir uns mit den Hessen nie gestritten, ob uns etwas Spass macht oder eben doch Spaß. Plötzlich ist das ein Problem – für die Hessen in dem Falle, weil sie eben Spass haben, aber Spaß schreiben sollen.

Wenn ich das Wort „aufwändig“ lese, dann gehe ich regelmäßig die Wände hoch. Ist doch das Wort eine Adjektivierung des Verbs aufwenden. Die 1996er Regel besagt aber, daß Adjektive auf -ig nur noch aus Substantiven gebildet werden, also in dem Fall aus dem Substantiv Aufwand. Philologen und ähnliche Klugscheißer merken hier an, daß das Ursprungswort aber „Aufwendung“ heißt. Aufgrund solcher und ähnlicher Streitereien kam es schon 2004 zur Reform der Reform und 2006 zur Reform der Reform der Reform.

10 neue Rechtschreibregeln von 1996 gelten nach 2006 als falsch. Außer in Österreich, da gelten die Regeln von 1996 und in der Schweiz die von 2004. Wie war doch gleich das Ziel der Reform? Die Rechtschreibung vereinfachen – nun ist sie sogar vervierfacht. Neben der alten gibt es drei neue Rechtschreibungen. Damit nicht genug. Der Springerverlag, Die Zeit, die Neue Züricher Zeitung – fast alle Medien wenden so genannte „Hausorthographien“ an – also gibt es jetzt sogar hunderte Schreibweisen!

Am 8. September 2006 veröffentlichte die „Deutsche Sprachwelt“ ein „Stimmungsbild zur deutschen Sprache“. Nur 28 Prozent der Befragten richteten sich nach den reformierten Schreibweisen, 16 Prozent schrieben nach eigenem Gutdünken, und noch 56 Prozent blieben weiter bei den traditionellen Regeln. Nur 14 Prozent aller Befragten befürworteten die Reform, 66 Prozent lehnten sie jedoch völlig ab.

Trotzdem setzt sich die neue Rechtschreibung mehr und mehr durch – vielleicht auch wegen der Erkenntnis, daß die Schlachten um die deutsche Sprache auf anderen Feldern geschlagen werden müssen.

Den Lesern kann man es auch kaum noch zumuten. Als Amtsblatt schrieben wir im amtlichen Teil seit 2006 neue Rechtschreibung von 2006, weil es so Gesetz ist. Leserbriefe, die eindeutig reformierte sind, lassen wir so, Mischformen haben wir „gedowngradet“ auf alte Rechtschreibung. Dies immer zu beachten und vor allem durchzuhalten, nervt auf Dauer.

Und da fällt uns Gutmenschen auch noch ein, da ja für die Schulschwänzer mehr getan werden soll, daß die wenigstens morgens im Bett den Anzeiger in einer für sie richtigen Schreibweise lesen.

Bleibt uns nur, uns bei Ihnen, liebe 62%, zu entschuldigen, daß wir nun auch umfallen – die FAZ ist schon 2007 gekippt, der RAZ kippt jetzt erst. Nur die „Junge Welt“ und die „Junge Freiheit“ sehen dann noch nach alter heiler Welt aus.

K.Kroemke (Herausgeber)


Quellen und Links: